Ignaz Semmelweis, unser Alltagsheld

Wir haben in den letzten Wochen wieder besonders gemerkt, dass Hygienevorschriften bei der Verbreitung von Krankheiten eine wichtige Rolle spielen. Plötzlich wird in den Medien darüber berichtet, wie Hände richtig gewaschen werden und das am Besten in den Ellenbogen gehustet wird, damit Krankheitserreger nicht über die Hände verbreitet werden. Aber gerade im medizinischen Bereich waren Hygienevorschriften auch vor COVID-19 unentbehrlich. Besonders vor und während einer Operation wird peinlichst genau darauf geachtet, dass alles möglichst steril ist, damit krankmachende Keime nicht in den Körper gelangen. Die Kleidung wird gewechselt, es werden Hauben, Mundschutz und Handschuhe getragen und die Hände werden vor der Operation gründlich gewaschen und desinfiziert.

Doch dieses vorbildliche Verhalten stand nicht immer an der Tagesordnung des medizinischen Personals, denn Hygiene spielte in Krankenhäusern lange Zeit keine große Rolle. Dadurch, dass zusätzliche Hygienemaßnahmen einige Zeit in Anspruch nahmen, sahen die Ärzte diese oft als überflüssig. Sie nutzten sie lieber für die Behandlung ihrer Patientinnen und Patienten. Erst durch den ungarischen Arzt Ignaz Phillipp Semmelweis (1818-1865) wurde die Wichtigkeit der antiseptischen Prophylaxe diskutiert. Er legte mit seinen Forschungen den Grundstein dafür, dass wir heute im Alltag selbstverständlich auf Hygiene achten.

Auf die richtige Spur kam Dr. Semmelweis in den 1840er Jahren, als das Kindbettfieber bis zu 30% der Frauen1 die in Krankenhäuser entbanden das Leben kostete. In dieser Zeit arbeitete er auf der Entbindungsstation des Wiener Allgemeinen Krankenhauses, dass 1833 in zwei Teile aufgeteilt wurde. In der ersten Klinik arbeiteten männliche Ärzte und Medizinstudenten, die sich um die Geburt der Mütter kümmerten, in der zweiten Klinik waren dafür weibliche Hebammen zuständig. In jener Klinik, in der die Ärzte arbeiteten, starben allerdings dreimal so viele Mütter2 wie in der Hebammenklinik.

Ignaz Semmelweis wollte verstehen, wie diese gravierenden Unterschiede zustande kamen und fing an die Krankheit genauer zu untersuchen. Ihm fiel auf, dass Frauen in der ersten Klinik fast immer krank wurden, wenn sie wesentlich länger als 24 Stunden in den Wehen lagen1. Dies war in der zweiten Klink nicht der Fall. Außerdem entdeckte er, das Risiko zu erkranken bei Frauen, die auf der Straße gebaren signifikant geringer war als bei den Frauen, die im Krankenhaus entbunden haben3.

Im Krankenhaus standen auch morgendliche Autopsien auf der Tagesordnung, bevor die Ärzte und Medizinstudenten die Klink betraten. Als ein Kollege an einer während einer Autopsie entstandenen Wunde verstarb und zuvor die gleichen Symptome aufwies, wie die an Kindbettfieber verstorbenen Patientinnen, erkannte Semmelweis den Zusammenhang: Da Untersuchungen an den werdenden Müttern im Anschluss an die morgendlichen Autopsien mit bloßen Händen durchgeführt wurden, stellte er die Hypothese auf, dass Partikel, die sich auf dem Autopsie-Messer befanden, später während einer Untersuchung durch einen Arzt mit kontaminierten Händen in die Gebärmutter gelangen können.

Seine Untersuchungen ergaben auf einmal einen Sinn. Nur die männlichen Ärzte und Medizinstudenten durften Autopsien durchführen. Hebammen hingegen hatten in den Leichenschauhäusern als Frauen keinen Zutritt. Dadurch konnten nur Patientinnen der Ärzteklinik mit den Erregern in Kontakt kommen. Wurden mehrere Frauen untersucht, erkrankten plötzlich auch mehr zur gleichen Zeit. Durch die Hypothese wurde auch klar, wieso bei Frauen, die über 24 Stunden Wehen hatten, das Risiko an Kindbettfieber zu erkranken besonders hoch war: Sie mussten mehrmals untersucht werden, was eine Erhöhung der Infektionswahrscheinlichkeit zur Folge hatte. Frauen, die auf der Straße gebaren, waren nicht den kontaminierten Händen der Ärzte ausgesetzt.

Um die Mortalitätsrate wieder zu senken entwickelte Ignaz Semmelweis eine Chlorkalklösung, die vor jeder Untersuchung auf die Hänge getragen wurden, um die Keime auf der Handoberfläche zu entfernen. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde zusätzlich eine Reinigung der Instrumente eingeführt. Nach der Einführung der Chlorkalklösung zur Reinigung der Hände sank die Mortalitätsrate in der Ärzteklinik von 11,4% (1846) auf 1,3% (1848) 3.

Trotz der enormen Erfolge bekam Ignaz Semmelweis keine Anerkennung. 1850 verließ er Wien und nahm eine Stelle am Szent Rókus (St. Rochus) Krankenhaus in Pest an, wo seine Handwasch- und Sterilisationstechniken die Müttersterblichkeit auf 0,85% reduzierte 3. Im Jahr 1855 wurde er zum Professor für Geburtshilfe an der Universität Pest ernannt.

Heute ist das Hygieneverhalten in der Medizin kaum mehr wegzudenken. Vor und nach jedem Patientenkontakt ist die Handhygiene verpflichtend. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat auf Grundlage der heutigen Erkenntnisse zur Erregertransmission über die Hände, die 5 Indikationsgruppen („five moments“)4 als Grundlage für die Schulung und das Training der Händedesinfektion erstellt. Dabei geht es darum, vor dem Patientenkontakt, vor aseptischen Tätigkeiten, nach dem Kontakt mit potenziell infektiösem Material, nach Patientenkontakt und nach dem Kontakt mit der unmittelbaren Patientenumgebung die Hände zu desinfizieren. Diese Regelung dient dem Schutz der Patienten und dem medizinischen Personal vor Übertragung pathogener Keime.

Wussten Sie, dass durch diese strikten Hygienevorschriften und die sorgfältige Organisation der Abläufe in den Krankenhäusern 30% der Krankenhaus-Infektionen5 vermieden werden können? Denn gerade in Institutionen, in denen medizinisches Fachpersonal Patienten betreut, ist das Risiko mit Infektionserregern in Kontakt zu kommen besonders hoch. Durch die Entdeckungen von Semmelweis ist Medizin fortschrittlicher geworden und deshalb ist er auch heute noch der Held der uns im Alltag von der Ansteckungsgefahr befreit.

Quellen:

https://wwwnc.cdc.gov/eid/article/7/2/ac-0702_article

https://www.aerzteblatt.de/archiv/89995/Ignaz-Philipp-Semmelweis-Retter-der-Muetter

3 Carson, E.A.; Toodayan, N: Ignaz philipp semmelweis (1818-1865): Herald of hygienic medicine. Medical Journal of Australia, 10 December 2018, Vol.209(11), pp.480-482

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Kommission/Downloads/Haendehyg_Rili.pdf?__blob=publicationFile

https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/hygiene/hygiene_medizinische_einrichtungen/index.htm